«Wir lassen uns nicht unterkriegen, auch wenn man dauernd improvisieren muss»

Wie führt man ein Unternehmen durch den zweiten Lockdown? Désirée Schiess, Präsidentin des KMU-Verbandes Winterthur und Geschäftsführerin des Reinigungsunternehmens Schiess AG, und Thorsten-D. Künnemann, Direktor des Technoramas, über Coronamüdigkeit, die Wichtigkeit des Planens und ihre Hoffnungen für die Zeit nach der Krise.

Frau Schiess, Herr Künnemann, wie fest spüren Sie die Coronamüdigkeit?
Désirée Schiess: Unterdessen sehne ich mich nach gewissen Dingen. Zum Beispiel freue ich mich sehr darauf, wieder einmal an einem Anlass mit vielen Menschen zu sein, mich an einem Apéro durch die Menge hindurch an die Bar zu drängeln, unbeschwert mit allen reden zu können.
Thorsten-D. Künnemann: Ich sehne mich danach, Menschen bei der Begrüssung wieder mit der Hand berühren zu können. Der Handschlag gehört für mich zu meiner Kultur, wenn mich jemand besucht, habe ich immer noch einen Reflex im Arm. Im Arbeitsleben spüre ich zudem einen kontinuierlichen Stress, weil man nie weiss, wie es nächste Woche weitergeht. Diese Ungewissheit beschäftigt mich mehr als die Müdigkeit wegen der Corona-Massnahmen.
Schiess: Es fehlt die Leichtigkeit des Seins. Im Geschäft müssen wir laufend bereit sein für Änderungen, Anpassungen, neue Vorgaben. Am Anfang war das ein Abenteuer. Aber jetzt, nach einem Jahr, wird es ermüdend.

Désirée Schiess und Thorsten-D. Künnemann

Frau Schiess, Sie führen ein grösseres KMU, Sie, Herr Künnemann, einen grossen Kulturbetrieb. Wie kommen Ihre Unternehmen durch den zweiten Lockdown?
Schiess: Im zweiten Lockdown ist vieles schon bekannt, daher ist es ein Stück weit einfacher als im Frühling 2020. Auf Seite der Kunden waren die Reaktionen diesmal weniger dramatisch; beim ersten Lockdown hatten wir Vertragspartner, die uns von einem Tag auf den anderen nicht mehr in ihre Gebäude lassen wollten. In der ganzen Corona-Zeit ist es mir besonders wichtig, ganz offen und klar zu kommunizieren. Das wird von den Mitarbeitenden geschätzt, im Gegenzug halten sie sich konsequent an die Corona-Massnahmen.
Künnemann: Von unseren 140 Mitarbeitenden sind seit Mitte Dezember fast 90 voll in Kurzarbeit zu Hause. Ich hatte im ersten Lockdown damit angefangen, regelmässig Video-Updates zu verschicken...


«Es gibt Leute, die denken, beim Reinigungspersonal zu sparen, sei kein Problem.» – Désirée Schiess

Das sind jene Videos, die auch öffentlich sind, zum Beispiel auf dem Instagram-Kanal des Technoramas?
Künnemann: Ja, ein paar davon sind auch öffentlich. Ich möchte, dass die Verbundenheit zum Technorama bestehen bleibt, auch wenn wir geschlossen haben und niemand hier ist. Als Non-Profit-Stiftung sorgen wir uns zudem um die Finanzen. Bisher sind wir aber dank der Staatshilfen mit einem blauen Auge davon gekommen.  Es ist schön zu sehen, wie die Unterstützung in der Schweiz funktioniert. Kollegen von Science Centern im Ausland haben es oft schwerer.

Mit der Scheuersaugmaschine von der Schiess AG werden die Böden des Technoramas gereinigt.

Mussten Sie wegen Corona bereits Arbeitsplätze abbauen, Frau Schiess?
Schiess: Bei den festangestellten Spezialreinigern mussten wir nie Kurzarbeit anmelden, die konnten wir immer beschäftigen, auch wenn wir teils mit den Aufträgen «etwas jonglieren» mussten. Anders sieht es bei den Angestellten in der Unterhaltsreinigung aus, die oft in Teilzeit arbeiten. Da gab es – beispielsweise in geschlossenen Restaurants oder auch hier im Technorama – plötzlich keine Arbeit mehr.


«Das Technorama ist im Moment so sauber wie noch nie.» – Thorsten-D. Künnemann

Gab es harte Verhandlungen, wenn ein Kunde sofort nichts mehr bezahlen wollte?
Schiess: Naja… Es gibt Leute, die denken, beim Reinigungspersonal zu sparen, sei kein Problem, die meinen, unsere Leute würden das ja nur nebenher machen und seien auf den Verdienst nicht angewiesen. Doch auch die Angestellten in unserer Branche sind auf ihr Einkommen angewiesen, müssen damit ihre Miete oder ihre Krankenkasse bezahlen. Teilweise war da viel Aufklärungsarbeit nötig, wir konnten aber überall Lösungen finden, auch wenn wir viele Federn lassen mussten. Im Bereich der Unterhaltsreinigung haben wir im Frühling 2020 zudem Kurzarbeit angemeldet. Und wir behelfen uns damit, dass wir spezielle Deals abschliessen, damit die Verträge erfüllt werden können, von uns und von den Kunden.

So soll das Areal nach der Eröffnung des Technorama-Parks am 18. April 2021 aussehen.

Spezielle Deals? Was heisst das genau, zum Beispiel hier im Technorama?
Schiess: Normalerweise sind hier im Technorama je nach Wochentag sechs bis neun Personen von uns im Einsatz.
Künnemann: Jetzt haben wir geschlossen und es gibt fast nichts mehr zu tun. Darum sind wir gleich zusammengesessen und haben eine pragmatische Lösung gesucht. Damit der Vertrag weiterlaufen kann, reinigen wir nun alles auf einmal, was sonst nur in Etappen möglich ist, zum Beispiel alle Decken in den Ausstellungsräumen, in den Büros gab’s eine Grundreinigung. Das Technorama ist im Moment so sauber wie noch nie…
Schiess: Ich hab auf dem Weg zum Gespräch hier aber noch viele schmutzige Böden gesehen.
Künnemann: Stimmt, wegen des Umbaus, das gibt wieder viel zu putzen.

Das Technorama baut auch innen um, nicht nur im Park?
Künnemann: Wir wollten schon länger die Toilettenbereiche sanieren, geplant war, das in Etappen umzusetzen. Jetzt machen wir es in einem Rutsch, was für die Bauarbeiten effizienter ist.
Schiess: Im Technorama hat unsere Firma schon nach dem Neubau 1982 die Baureinigung gemacht. In solchen Zeiten zahlen sich gute, langfristige Kundenbeziehungen aus.


«Als wir von der Rieter-Stiftung eine doppelte Zahlung erhielten, dachten wir kurz, das sei ein Versehen.» – Thorsten-D. Künnemann

Der Zusammenhalt in Winterthur wird oft gelobt. Haben Sie in der Corona-Zeit Beispiele erlebt, in denen sich dieser «Winterthurer Spirit» bewährt hat?
Künnemann: Im Frühling 2020 rief mich die Buchhaltung an, weil wir eine unerwartete Überweisung der Johann-Jacob-Rieter-Stiftung erhalten haben. Zuerst vermuteten wir sogar kurz, es liege ein Versehen vor. War es aber nicht. Die Stiftung hat – nicht nur für uns, sondern auch für andere Institutionen und Vereine – wegen Corona ihren Jahresbeitrag doppelt ausbezahlt. Und das bereits Ende März, zehn Tage nach dem ersten Lockdown. Das war nicht nur eine schöne Geste, sondern richtig stark.

Die Plattform auf der Wunderbrücke


«Ich hätte erwartet, dass die Impfstrategie längst in der Schublade bereit liegt.» – Désirée Schiess

Wie hat der Staat aus Ihrer Sicht die Situation bisher gemanagt? Auf übergeordneter Ebene und in Winterthur?
Künnemann: Die Abteilung Kultur der Stadt hat uns stets gut informiert. Da haben wir uns immer gut abgeholt gefühlt. Auf übergeordneter Ebene war das für die Politik eine sehr schwierige Situation. Was man auch gemacht hat, man lag immer falsch. Ich würde aber doch sagen: In der Zeit der zweiten Welle hätte der Schweiz etwas mehr Zentralismus gut getan; das ist mir als relativ frisch eingebürgetem Schweizer vielleicht besonders aufgefallen. Dass da alle Kantone für sich selbst schauen mussten, in einem kleinen Land, halb so gross wie manche chinesische Stadt, das hat bei der Bewältigung der Pandemie sicher nicht geholfen.
Schiess: Die erste Welle hat der Staat aus meiner Sicht gut gemanagt. Was mich aber überrascht hat: Auf die zweite Welle war die Politik nicht gut vorbereitet. Auch hätte ich erwartet, dass die Impfstrategie längst in der Schublade bereit liegt. Dass das nun nicht besser organisiert ist, erstaunt mich sehr. Wenn eine private Firma so wirtschaften würde, hätte man ihr unterdessen längst gekündigt.

Im Technorama-Park sind viele grüne Flächen eingeplant.

Herr Künnemann, das Technorama will im Frühling den neuen Park mit der Wunderbrücke eröffnen. Aber Corona kann Ihnen da jederzeit einen Strich durch die Rechnung machen...
Künnemann: Tja, was soll man machen? Im Moment gehen wir vom Besten aus und hoffen. Die Eröffnung ist nach wie vor auf den 18. April 2021 geplant. Wir machen aber bereits einen Plan B. Den Festakt haben wir schon verschoben. Grundsätzlich haben wir trotz Corona normal budgetiert. Fürs 2021 haben wir – dank des neuen Parks – sogar das besucherstärkste Jahr in der Geschichte des Technoramas eingeplant. Wir wollten die Schallmauer von 300’000 Gästen durchbrechen. Natürlich wissen wir bereits jetzt, dass das unrealistisch ist. Aber mit einem «normalen» Budget können wir die Wirkungen unserer Massnahmen besser abschätzen.
Schiess: Ich finde es wichtig, dass man sich von diesem Virus nicht «totschlagen» lässt, sondern Pläne schmiedet. Auch wir vom KMU-Verband planen bereits unsere Anlässe für das ganze Jahr 2021.
Künnemann: Genau, wir lassen uns nicht unterkriegen, auch wenn man dauernd improvisieren muss.

Frau Schiess, Sie sind Präsidentin des KMU-Verbandes Winterthur und Umgebung. Wie schätzen Sie die Lage der Winterthurer KMU ein?
Schiess: Das ist von Branche zu Branche sehr unterschiedlich. Das Baugewerbe darf nicht jammern, denn die Baustellen blieben immer offen. In der Gastronomie ist es sicher schwierig, da befürchte ich, dass es nicht alle durch die Krise schaffen. Bessere Rückmeldungen als erwartet habe ich aus dem Detailhandel. In der Zeit, in der die Läden offen hatten, lief das Geschäft vielerorts sehr gut. Um auf den «Winterthurer Spirit» zurückzukommen: Corona hat bei den Kundinnen und Kunden offenbar dazu geführt, dass man bewusster lokal einkauft.

Bis im Frühling sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Am 18. April 2021 wird der Technorama-Park eröffnet.


«Für 2021 hatten wir das besucherstärkste Jahr in der Geschichte des Technoramas eingeplant.» – Thorsten-D. Künnemann

Ist die Corona-Krise auch eine Chance?
Schiess: Ich habe die Hoffnung, dass die Menschen nach der Krise bewusster lokale Läden oder Unternehmen berücksichtigen. Und vielleicht merkt man auch, dass man nicht immer irgendwohin verreisen muss, sondern auch in Winterthur bleiben – und beispielsweise ins Technorama gehen kann.
Künnemann: Aus dem Blickwinkel eines Science-Centers erhoffe ich mir, dass den Menschen durch Corona die Bedeutung der Wissenschaft bewusster geworden ist. Dass 15 Monate nach Ausbruch dieser Krankheit bereits mehrere Impfstoffe entwickelt und Millionen von Menschen geimpft worden sind, ist eine wissenschaftliche Meisterleistung. Nachdem die Wissenschaft in den letzten Jahren durch Behauptungen sogenannter «alternativer Fakten» etwas in Misskredit gebracht wurde, hoffe ich, dass nun das Vertrauen in Forschung und Technik wieder steigt.


«Ich hoffe, dass die Menschen nun bewusster lokal einkaufen.» – Désirée Schiess

Zum Schluss noch: Ihr Ausflugstipp in Stadt oder Region, um zwischendurch, gerade in der Corona-Krise, mal abschalten zu können?
Künnemann: Da spricht vielleicht der Biologe in mir: Während der Zeit des Lockdowns ging ich sehr gerne in den Wald, davon gibt’s ja genug in Winterthur. Da war es einfach ruhig, man hörte nichts als die Natur. Das war schon eine spezielle Erfahrung.
Schiess: Es bleibt einem im Moment ja gar keine andere Möglichkeit, als in die Natur zu gehen. Die Jogging-Schuhe anzuziehen und im Lindberg eine Runde zu drehen, das hat mir auch während des Lockdowns sehr geholfen. Und was ich auch immer empfehlen kann: einen Spaziergang durch die Winterthurer Altstadt.

Alessia Baumgartner und Jakob Bächtold