Interview mit Prof. Dr. Jean-Marc Piveteau, Rektor ZHAW

Sie verkünden einen Rekord an Studenten im Jahr 2020. Herzliche Gratulation! Welches sind die Erfolgsfaktoren? Weshalb entscheiden sich die Studenten für die ZHAW?
Die Zahl der Neustudierenden ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Über die vielen Gründe können wir nur spekulieren. Aktuell könnte die ökonomisch unsichere Situation rund um das Coronavirus den Anstieg von Neustudierenden noch verstärkt haben. Eine Ursache für die höhere Anzahl von Neustudierenden an der ZHAW sind aber vor allem auch neukonzipierte Studienangebote und schweizweit einzigartige Studiengänge. Zudem vermitteln wir unseren Studierenden umfassende Kompetenzen in Theorie und Praxis, mit denen sie auf die raschen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft reagieren können. Dies macht die ZHAW-Absolventinnen und -Absolventen auf dem Arbeitsmarkt sehr begehrt.

Die ZHAW bietet viele verschiedene Ausrichtungen: Angewandte Psychologie, Gesundheit, Life Sciences, School of Management & Law und vieles mehr. Bei welchen Departementen hat es den grössten Zuwachs?
Den grössten Zuwachs gab es in den Studiengängen der ZHAW School of Management and Law mit über 2080 Neueintritten, gefolgt vom ZHAW-Departement School of Engineering mit rund 780 Neueintritten.

Planen Sie ein weiteres Departement, um einem neuen Markt-Bedürfnis zu entsprechen?
Nein. Aber die Departemente beobachten den Markt sowie die gesellschaftlichen Entwicklungen und überarbeiten ihre Angebote laufend oder entwickeln neue Studiengänge. Letztes Jahr beispielsweise wurde der Bachelorstudiengang Sprachliche Integration geschaffen, welcher für Tätigkeiten im Bereich Sprachkursleitung, Sprachcoaching und Sprachbildungsmanagement befähigt. Grundsätzlich soll das Studium an Fachhochschulen berufsbefähigend sein. Das heisst meines Erachtens nicht zwingend, dass wir nur für einen konkreten Beruf ausbilden. Vielmehr müssen wir Kompetenzen vermitteln, mit denen sich Absolventinnen und Absolventen im Beruf weiterentwickeln können.

Die ZHAW bringt jedes Jahr gut ausgebildete Menschen auf den Arbeitsmarkt. Welche Plattformen hat sie bereits implementiert, damit KMUs und Studenten sich treffen/austauschen können und somit mögliche Job-Angebote entstehen können?
Am Absolvententag ZHAW treffen jeden Frühling über 1500 Studierende der ZHAW auf Vertreterinnen und Vertreter von diversen Unternehmen. Bei dieser Absolventenmesse knüpfen die Studierenden nicht nur wertvolle Kontakte, sondern sie wird auch von ihnen selbst organisiert. Jeweils im November folgt dann die Lange Nacht der Karriere, welche von den Career Services der ZHAW und der School of Management and Law organisiert wird. Einen Abend lang beschäftigen sich die Studierenden dabei auf eine lockere und spielerische Art mit ihrer beruflichen Zukunft, sammeln Ideen, lernen Arbeitgeber von einer anderen Seite kennen, knüpfen Kontakte und werden in Sachen Bewerbung fit gemacht. Hier können auch Unternehmen mit Vorträgen oder Workshops mitmachen, die Rekrutierung steht aber nicht im Vordergrund.

Die Departemente bieten für die Studierenden auch weitere Events wie Speed Dating an, in denen sie mit Unternehmen in Kontakt treten können. Den Studierenden und Absolventinnen und Absolventen bieten die Career Services ZHAW zudem ein vielfältiges Beratungsangebot.

Würden Sie sich weitere Plattformen wünschen, die heute noch nicht existieren? Wenn ja, welche? Und könnte House of Winterthur die ZHAW hier unterstützen?
Auch wenn die ZHAW in meinen Augen diesbezüglich schon sehr gut aufgestellt ist, sind wir offen für neue Orte der Begegnung zwischen der Wirtschaft und unseren Studierenden. Aus diesem Grund könnte ich mir eine Zusammenarbeit sehr gut vorstellen.

Weiterbildung ist ein wichtiges Thema für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Mit Corona sind Themen wie eLearning und Blended Learning aktueller als je zuvor. Das erlaubt auch ein individuelles Arbeiten und Lernen. Wie sehen Sie die Zukunft? Wie werden wir uns in 10-15 Jahren weiterbilden?
Ich kann zwar nicht in die Zukunft schauen, aber neue Angebote der Weiterbildung an unserer Hochschule zeigen, wohin die Entwicklung gehen könnte. Unter dem Zeichen der Durchlässigkeit der Bildung bietet die ZHAW Weiterbildungen an, die grösstenteils im Unternehmen selbst durchgeführt und spezifisch an die Bedürfnisse von Unternehmen und Verbänden angepasst werden. Damit wird auch auf Bestrebungen der Unternehmen eingegangen, das betriebliche Lernen zunehmend in den Arbeitsalltag zu integrieren. Das ZHAW-Departement Angewandte Psychologie beispielsweise arbeitet schon seit Jahren mit dem Telekomunternehmen Swisscom in der internen Weiterbildung der Führungskräfte zusammen. Trainerinnen und Trainer aus Hochschule und dem Unternehmen entwickeln die Führungsausbildung und schulen die Führungspersonen. Mit Methoden des Blended Learning und Flipped Classroom werden psychologische Grundlagen der Führung und wichtige Führungsthemen der Swisscom vermittelt, in webbasierten Trainings wie in aktiven Übungen.

Werden wir den Dozenten überhaupt noch physisch treffen?
Ich bin davon überzeugt, dass wir in Zukunft sogar noch sorgfältiger differenzieren werden, welche Inhalte virtuell vermittelt werden könnten und bei welchen Inhalten der Präsenzunterricht unabdingbar ist. Ein Trend zur Reduktion der Präsenztage bestand bereits vor der abrupten Online-Umstellung während der Corona-Pandemie, denn Arbeitgeber wünschen sich weniger Absenzen am Arbeitsplatz aufgrund von Weiterbildungen. Aber einen vollständigen Verzicht kann ich mir nicht vorstellen: Lernen ist Begegnung. Die Aufnahmebereitschaft beim Lernen ist in direkter Begegnung viel höher.

Die ZHAW bereitet Studentinnen und Studenten auf die Arbeitswelt vor. Doch die Arbeitswelt verändert sich rasant. Wo sehen Sie Chancen für die ZHAW? Wo sehen Sie Chancen für die KMUs?
Der rasche Wandel fordert uns als Hochschule, die Abgrenzung zwischen der Erstausbildung und der klassischen Weiterbildung neu zu überdenken. Dieser Wandel betrifft insbesondere auch unsere Wissensgesellschaft. Die Geschwindigkeit, mit der sich Wissen entwickelt, ist für mich ein Grund, um die Verzahnung von Forschung und Lehre im Modell Fachhochschule zu stärken. In der gleichen Institution, in der das Wissen entsteht, sollte es vermittelt werden. Nur so verliert es nicht an Aktualität und ist spannend für die Studierenden, wenn sie miterleben, wie Neues entsteht. Dieses Modell ist auch für die Wirtschaft und damit für die KMUs eine Chance. Denn wir haben viele Praxispartner, die mit ihren Fragen zu uns kommen, damit unsere anwendungsorientierte Forschung Antworten liefert.

Eine persönliche Frage Herr Piveteau: Was ist Ihr Lieblingsort in der Stadt oder Region Winterthur, an den Sie gerne hingehen, um Energie zu tanken?
Die Hochschulbibliothek.